Spiel mir das Lied vom Tod …

Spiel mir das Lied vom Tod …

Unsere Neu-Isenburger Einzelhändler haben die derzeitige Wüstenei nicht länger verdient

 

Ganz schön trostlos

 

Zwischen der Neu-Isenburger Fußgängerzone und dem Alten Ort fehlt mir manchmal nur noch dieser satte Klang von Ennio Morricones Mundharmonika. Sie wissen schon … aus Spiel mir das Lied vom Tod. Nur ohne Schießeisen und Wüstensand. Dabei ist die Heimat meiner Vorfahren, einer Gaststättenbesitzerin und eines Schreinermeisters, des Inhabers eines Ingenieurbüros und einer Lehrerin, alles andere als ein verlassener Landstrich. Meine eigenen Kinder sind hier in einer Stadt aufgewachsen, die immer weiter gewachsen ist, in die heute mehr Leute zum Arbeiten kommen als zum Pendeln an andere Orte fahren, für die Schutzschirm ein Fremdwort ist, in der hohe Mieten gezahlt werden – und dann das.

 

Leerstand, fehlende Begrünung, eine Innenstadt, die an Langeweile kaum zu überbieten ist und überhaupt nicht zum Flanieren einläd … und das in einer so kaufkraftstarken Kommune wie unserer – das darf ja wohl nicht wahr sein! Ein Blick in die aktuellen Statistiken zeigt die erschreckende Wahrheit: Wir haben eine Netto-Kaufkraftabwanderung, das heißt, selbst das vorhandene Geld geben die Neu-Isenburger lieber anderswo aus. Und das keineswegs nur im Netz oder in Frankfurt, manch einer fährt auch nach Langen oder Dreieich, wo bei unseren südlichen Nachbarn gerade Sprendlingens geplante „Neue Mitte“ zusätzlich von sich reden macht.

 

Hat denn da gar keiner eine zündende Idee? Von Haus aus Bau- und Planungsrechtlerin, gehe ich als erstes auf die Suche danach, ob es für unsere Innenstadt schon eine schlaue Studie gibt. Und tatsächlich: Auch für Neu-Isenburg gab es in den letzten 15 Jahren zwei große Erhebungen, an die entsprechende Empfehlungen geknüpft waren!

Offizielle Bestandsaufnahmen

 

Da ist zum einen das „Einzelhandelskonzept für die Stadt Neu-Isenburg“, das die Kölner BBE Unternehmensberatung im Juli 2006 der Stadtverwaltung erstellt hat. Es ist über hundert Seiten dick und enthält so bemerkenswerte Feststellungen wie die folgende: „Nach Einschätzung der Gutachter ist bei Ansiedlung eines Verbrauchermarktes am Standort Birkengewann mit negativen städtebaulichen Auswirkungen zu rechnen. Die negativen städtebaulichen Auswirkungen betreffen … die Funktionsfähigkeit der Innenstadt … (sowohl) im Isenburg Zentrum … (als auch) in Richtung der übrigen Frische orientierten Lebensmittelanbieter …“. Nun ist eine fußläufige Nahversorgung des Birkengewanns zwar unbestritten sinnvoll. Aber musste es gleich – anders als beispielsweise im Buchenbusch – ein riesiger Lidl sein? So etwas hat Folgen: War nicht eben noch gegenüber des mittlerweile privatisierten Rewe-Geschäfts in der Mitte der Frankfurter Straße ein kleiner Lebensmitteleinzelhändler? Der jetzt wieder dicht gemacht hat? Man reibt sich die Augen.

 

Auch mit Blick auf Gravenbruch haben sich die Macher der damaligen Studie dafür ausgesprochen, „das Angebot im Segment der Verbrauchermärkte deutlich auszuweiten, um die Kaufkraftabflüsse zu reduzieren“. Dort hat im vergangenen Jahr ein neuer Rewe-Markt mit integrierter Bäckerei eröffnet – immerhin,

 

Zweite Studie, Februar 2019. Anfang letzten Jahres hat sich die Stadt Neu-Isenburg von der ProjektStadt der Nassauischen Heimstätte/Wohnstadt GmbH wie andere Gemeinden auch ein „Integriertes Stadtentwicklungskonzept“ (ISEK) erstellen lassen. Bei uns steht es unter dem Motto: „Vom alten Ort zur Neuen Welt“ vorlegen. Diese Studie leuchtet in kombinierter Weise Wirtschaft, Infrastruktur, Städtebau, Umwelt und Mobilität aus. Das ist sehr lobenswert, zumal hier noch einmal die Finger in die Wunde gelegt werden. Da ist von weiter sinkender Einzelhandelskaufkraft in den letzten Jahren die Rede – während gleichzeitig immer mehr Arbeitnehmer nach Neu-Isenburg kommen! „Tendenzen eines Trading-Down-Effektes im nördlichen Bereich der Frankfurter Straße“? Wettbüros & Co lassen grüßen! „Alter Ort mit geringer Versorgungsfunktion“? „Verlust von Nahversorgungfunktionen im zentralen Versorgungsbereich“? Das heißt nichts anderes, als dass eine Wende bisher Fehlanzeige ist.

 

Ungenutzte Möglichkeiten

 

Noch einmal: Wir liegen doch hier nicht inmitten einer Halbwüste im Wilden Westen zur Zeit des Eisenbahnbaus! Stattdessen befindet sich Neu-Isenburg im Herzen des Rhein-Main-Gebiets mit einer überragend günstigen Finanz-, Transport und Logistikstruktur. Die gleichzeitig mit einem im Verhältnis zu Frankfurt moderaten Gewerbesteuer-Hebesatz verbunden ist. Zwar ist auch die Senkung des Hebesatzes durchaus ein zweischneidiges Schwert – zumal, wenn gleichzeitig kommunale Steuern und Gebühren für Kindertagesstätten angehoben werden. Auch wenn in größerem Stil Immobilien veräußert werden, um eine solche Steuersenkung gegenzufinanzieren, hinterlässt das durchaus einen schalen Nachgeschmack. Aber wenn dergleichen in der Vergangenheit schon nicht zu verhindern war, so darf das dadurch entstandene „Anreizkapital“ erst recht nicht gleich wieder verschenkt werden.

 

Abgesehen davon, verfügen wir hier über zahlreiche „Kopplungsmagneten“, mit deren Besuch sich ein Einkaufsbummel verbinden ließe, Man denke hier nur an unsere zahlreichen Restaurants oder die Veranstaltungen in der Hugenottenhalle. Nur muss dem modernen Kunden der Einkauf eben auch ein bisschen Spaß machen, der Branchenmix muss stimmen, und wahrnehmen, dass und was es zu kaufen gibt, das muss man von vorneherein auch.

 

Und hier kommen wir alle (genau: wir alle) ins Spiel. Wir alle: Das sind der Einzelhandel, die Politik und die Wähler.

 

Der Einzelhandel

 

Der Einzelhandel hat private, beispielsweise: Schaufenster-Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch sonstige Aktionsmöglichkeiten, die er in Neu-Isenburg derzeit zum einen über unsere City-IG nutzt. Diese „City Neu-Isenburg Interessengemeinschaft e.V.“ gilt es unbedingt zu unterstützen und zu fördern! Im Vorstand der IG City ist mittlerweile auch die Centermanagerin unseres Isenburg-Zentrums, ein wichtiger Schritt weg von unzeitgemäßer innerstädtischer Kleinstaaterei.

 

Perspektivisch kann man aber auch über weitergehende, gerne auch undogmatische Sponsoringmaßnahmen durch Neu-Isenburger Unternehmen nachdenken. Wer sagt denn, dass unsere Firmen sich beispielsweise nicht als Baumpaten zur Verfügung stellen würden, wenn man Sie anspräche?

 

Die Neu-Isenburger Kommunalpolitik

 

Womit wir gleich beim nächsten Hauptakteur wären: unseren Kommunalpolitikern. Hier war es im Rahmen der schwarz-grünen Stadtregierung in den letzten Jahren namentlich die Neu-Isenburger CDU mit ihrem hauptamtlichen 1. Stadtrat Stefan Schmitt, die sich vehement gegen das „Opfern“ jedes einzelnen Parkplatzes auf der längst von der Bundesstraße herabgestuften Frankfurter Straße gewehrt hat. Gerade die CDU gewichtet den Durchgangsverkehr seit Langem höher als jede Aufenthaltsqualität! Wie soll man, wenn hier nichts geht, jemals „urbane Räume“ schaffen? Auch wenn Sie nicht gleich so prachtvoll wie die Schweizer Straße im benachbarten Sachsenhausen ausfallen müssen: Von gar nichts kommt gar nichts.

 

Während sowohl die Neu-Isenburger SPD als auch die Grünen sich schon recht frühzeitig für eine Verlängerung der Straßenbahnlinie 17 aussprachen, haben CDU und FDP die Achse Frankfurter Straße über Jahre hinweg als Durchfahrtsstraße angesehen. Auch ansonsten haben beide (Regierungs-)parteien über Jahre hinweg einen rein marktwirtschaftlichen Ansatz vertreten: „Städtebauliche Gestaltung ist keine städtische Aufgabe.“ So sieht Neu-Isenburg mittlerweile auch aus.

 

Hier wird es Zeit, als Stadtverwaltung zu handeln anstatt nur zuzusehen und hier und da zu reagieren, wenn es gar nicht mehr anders geht! Es gilt, aktiv zu sein, mutig und kraftvoll zu gestalten, die Einzelhändler zu unterstützen, sie zu fördern und zu fordern. Unsere Einzelhändler verdienen eine professionelle Unterstützung: Wir müssen sie beraten hinsichtlich der Außengestaltung, ihnen Anreize und Zuschüsse zukommen lassen, wenn sie sich auf Investitionen und eine gemeinsame, elegantere Gestaltung einlassen!

 

Und, ganz wesentlich: Neu-Isenburg ist von der Fläche her nicht so groß, das die Autos durchrasen müssen. Das heißt, wir können es uns ohne große Zeitverluste für alle Bürgerinnen und Bürger leisten, dass unser PKW-Verkehr verlangsamt und reduziert wird. Genau das sollten wir auch unbedingt tun – und die Aufenthaltsqualität durch mehr grüne Flächen wie Pflanzen und blaue Elemente wie erfrischende Wasserelemente verbessern. Mehr Platz für Sitzplätze und Auslagen, breitere Gehwege, erneuerte Radwege, eine einladene Umgebung für alle Altersgruppen. Natürlich geht das.

 

Die politischen Handlungsspielräume sind vorhanden, im Großen wie im Kleinen, wo, nebenbei bemerkt, die politische Spitze die Beamten, Angestellten und Arbeiter unserer Stadt auch schon anweisen kann, Gestaltungsideen laufen zu lassen oder zu bremsen.

 

Wir alle haben die Wahl: Kommunalwahl am 14. März 2021

 

Am 14. März 2021 haben Sie die Wahl. Bei den letzten Kommunalwahlen lag unsere Wahlbeteiligung hier in Neu-Isenburg sage und schreibe unter den LETZTEN ZEHN – und das bei über 300 hessischen Gemeinden. Das sollte nicht wieder vorkommen. Bitte denken Sie daran, dass es dabei nicht um bundes- oder landespolitische Themen geht, sondern um das Beste für unsere Stadt. Dabei muss es neben allem anderen auch darum gehen, dass Neu-Isenburg und seine Einzelhändler die derzeitige Wüstenei nicht länger verdient haben! Um davon wegzukommen, müssen wir alle künftig vielmehr gestalten als verwalten.

 

Für N-Ier Extrablatt, Aktuelle Zeichenzahl: knapp 10 T, Stand: 28. August 2020

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