In unserer kleinen Reihe „Starke Isenburger Frauen“ berichtet heute unsere Stadträtin Yvonne Lammersdorf im zweiten Teil über Bertha Pappenheim und ihr Wirken für die Neu-Isenburger Gesellschaft.
Bertha Pappenheim und der Lehrauftrag Gleichberechtigung
Der Lebensweg höherer Töchter im 19. Jahrhundert war vorgezeichnet. Der Lehrplan der Mädchenschulen sah Unterricht in Kunst und Kultur, Fremdsprachen, Musik und – vor allem – Hausarbeit vor. Mit dem Ende der Schulzeit, also etwa mit 16 Jahren, begann für die höheren Töchter das Warten auf ihre Bestimmung – den ‚richtigen‘ Mann, dem sie fortan eine gute Ehefrau zu sein hatten. Auch Bertha Pappenheim, geboren 1859 in Wien als Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie, wurde von ihren Eltern auf diesen Weg geschickt. Die überaus intelligente junge Frau litt unter dieser Bildungsbeschränkung.
Nachdem sie, ledig geblieben, von Wien nach Frankfurt übergesiedelt war, begann ihr Leben jenseits von „Anna O.“ und „P. Berthold“. Während sie unter letzterem, geschlechtsneutralen Pseudonym Kindergeschichten und Übersetzungen veröffentlichte, ging sie unter dem Namen „Anna O.“ in die Geschichte der Psychoanalyse ein.
Von all dem befreit, fand sie ihre Berufung in der Armen- und Sozialarbeit. Mit der Übernahme der Leitung eines Waisenhauses gelang es ihr dort, die Erziehung der Zöglinge auf Bildung und Ausbildung zu konzentrieren, um damit die Grundlage für ein eigenständiges Leben jenseits von Verheiratung zu ermöglichen. Durch ihre Kontakte in dieser Zeit begann sie ihr Engagement auf Mädchenhandel und Zwangsprostitution zu fokussieren.
Ihr Wirken in Neu-Isenburg
Die Gründung eines Heims für ausstiegsbereite Prostituierte und ledige Mütter mit ihren Kindern in Neu-Isenburg war neben der Gründung des Jüdischen Frauenbundes ein zentrales Lebensprojekt Pappenheims.
Nicht nur mit ihrem Engagement für „gefallene Mädchen“ eckte sie in der jüdischen, aber auch in der nicht-jüdischen Gesellschaft an, sondern auch mit ihrem Einsatz für Frauenrechte. Beirren ließ sie sich – selbst gläubige Jüdin – davon jedoch nicht. Als Pappenheim 1936 in Neu-Isenburg starb, hinterließ sie ihre Spuren in der Frauenbewegung genauso wie in der Sozialpolitik. Aus dem von ihr gegründeten JFB ging so z. B. die heute noch bestehende jüdische Zentralwohlfahrtsstelle hervor.
Der Antrieb zu all ihrem Tun lag nicht zuletzt in der Erkenntnis begründet, dass „weibliche Kinder als Geschöpfe zweiter Güte betrachtet“ wurden, wie sie es später in einem ihrer Werke niederschrieb. Insofern verwundert es nicht, dass ihr Interesse dem Ausbau von Gleichberechtigung, Sozialarbeit und Bildung galt.
Das Andenken an eine couragierte Neu-Isenburger Bürgerin
Mit einer Ausstellung erinnert die Stadt in dem Haus heute an das Leben und Werk Bertha Pappenheims. Hier finden außerdem Vorträge zu Aspekten jüdischen Lebens und jüdischer Kultur statt, sowie Themenreihen über Nationalsozialismus, Erziehung, den christlich-jüdischen Dialog und Frauenrecht. Zudem ist das Gelände mittlerweile Heimat einer Kita mit U3- und u6 Betreuung des Trägervereins Kaleidoskop Neu-Isenburg e.V.
Seminar- und Gedenkstätte Bertha Pappenheim
Zeppelinstraße 10
63263 Neu-Isenburg
Öffnungszeiten: Mittwoch 15.00 bis 18.00 Uhr und nach Vereinbarung unter Telefon 06102 – 241 754, -755
weitere Berichte zu Bertha Pappenheim im Netz:
Neu-Isenburg im August 2020
Yvonne Lammersdorf, Stadträtin