Franziska Schorch
Text: Dr. Heidi Fogel, Historikerin
9. November 1918: Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ruft in Berlin die Republik aus. Die monarchische Staatsform in Deutschland hat ausgedient und wird durch die erste Demokratie in der deutschen Geschichte abgelöst. Noch am selben Tag proklamiert der „Hessische Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat“ in Darmstadt die „freie sozialistische Republik Hessen“. Der hessische Großherzog Ernst Ludwig wird abgesetzt.
Am 12. November ist die Neu-Isenburger Bevölkerung aufgefordert, Arbeiter- und Soldatenräte als provisorische Stadtregierung zu wählen.1 Unter den gewählten Räten ist auch eine Frau – die 41jährige Anna Margarete Franziska Schorch, geb. Bartel. Gut ein halbes Jahr später, nach der Gemeinderatswahl vom 17. Juni 1919, zieht Franziska Schorch als erste Frau in den Neu-Isenburger Gemeinderat ein. Sie ist Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei, die bei dieser Wahl 11 von 21 Sitzen im Stadtparlament erringt. Einen bevorzugten Listenplatz als Frau hat Franziska Schorch nicht erhalten: Sie kandidiert auf Platz 10 der SPD-Liste.2

Als in der ersten Sitzung des neu gewählten Gemeinderats die Kommissionen besetzt werden, zeigt sich Franziska Schorchs herausragendes Engagement für die Menschen in ihrer Stadt. Die Mutter von zwei Söhnen arbeitet in 4 Kommissionen mit. Sie wird Mitglied in den Kommissionen für soziale Fürsorge, Einkommenssteuer, Volksküche und Gesundheit.3
Franziska Schorch leistet aber nicht nur unermüdliche politische Arbeit, sondern darüber hinaus aufopferungsvolle Sozialarbeit. Bis 1933 leitet sie die Neu-Isenburger Volksküche und betreut Kindergruppen bei Erholungs- und Freizeitaufenthalten im Odenwald. Um Geld für Bedürftige zu sammeln, ist sie sich auch nicht zu schade, von Haus zu Haus zu ziehen, den kleinen Enkel an der Hand. Enkel Richard Schorch erinnert sich noch heute mit viel Liebe an seine resolute, aber warmherzige Großmutter, die nie laut wurde, um ihre Interessen durchzusetzen.
Das erzwungene Aus für Franziska Schorchs politisches und soziales Engagement kommt 1933. Als Sozialdemokratin wird sie zusammen mit anderen Neu-Isenburger Repräsentanten der Arbeiterbewegung einen Tag nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 festgenommen, allerdings im Gegensatz zu den meisten der verhafteten Männer noch am selben Tag wieder freigelassen.4 Ihr Amt als Gemeinderätin kann sie nicht weiter ausüben, da die SPD im neu gebildeten Gemeinderat unberücksichtigt bleibt. Die Volksküche wird von der NS-Frauenschaft übernommen.
Kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges stirbt Franziska Schorch am 16. April 1939 im Alter von 62 Jahren.
Fußnoten:
[1] Zur Wahl und Bildung des Arbeiter- und Soldatenrats siehe Neu-Isenburger Anzeigeblatt, 13.11.1918 und 16.11.1918
[2] Die Wahlunterlagen befinden sich im Stadtarchiv Neu-Isenburg, XV/2
[3] Bericht von der ersten Sitzung des Gemeinderats, Neu-Isenburger Anzeigeblatt, 18.7.1919
[4] Erinnerungen des Enkels Richard Schorch